»Beim Glücksspiel macht der Gesetzgeber das Gegenteil von Suchtprävention«

Am bundesweiten Aktionstag gegen Glücksspielsucht am 29. September beteiligt sich auch in diesem Jahr wieder das Beratungsteam Glücksspielsucht vom Suchthilfezentrum der Stadtmission. Besonders im Fokus steht der novellierte Glücksspielstaatsvertrag und seine Folgen.

Eine Frau und ein Mann stehen vor einem Info-Banner.

Anita Diesener (l.) und Thomas Bauer (r.) bilden das Team der Nürnberger Fachstelle gegen Glücksspielsucht, die an das Suchthilfezentrum der Stadtmission Nürnberg angedockt ist.

Rund 70.000 Menschen in Bayern zeigen ein problematisches oder pathologisches Glücksspielverhalten. Für sie hat sich seit dem 1. Juli 2021 einiges verändert, denn seitdem gilt ein neuer Glücksspielstaatsvertrag, der erstmals alle Glücksspielformen regelt, egal ob von Spielbanken, Casinos oder Onlineplattformen angeboten. Mit dem novellierten Staatsvertrag wurde demnach der Online-Glücksspielmarkt erstmals legalisiert. Damit nimmt das Angebot und die Werbung für Online-Glücksspiele täglich zu – Anita Diesener von der Glücksspielberatung der Stadtmission Nürnberg beobachtet das mit großer Sorge: »Die unbegrenzte Glückspielwerbung überall lässt die Angebote immer normaler, auch harmlos wirken. Das führt dazu, dass immer mehr Menschen spielen und immer mehr ein Problem damit entwickeln werden. Man muss sich aber bewusst sein, dass es keinen gefahrlosen Glücksspielkonsum gibt.«

Diesener ärgert u.a., dass der Gesetzgeber besonders den Jugendschutz weitgehend außen vor gelassen habe: »Wir merken das ganz besonders im Umfeld der Sportbranche und dem angedockten Wettgeschäft. Bei Tabak und Alkohol zum Beispiel gelten suchtpräventive Werbeverbote bzw. Aufklärungspflichten. Beim Wett- und Glücksspiel geht es genau in entgegen gesetzte Richtung.«

Hoffnung auf mehr Spielerschutz

Etwas Hoffnung setzen die Suchtexpertin und ihr Kollege Thomas Bauer auf einige neue Instrumente zum Spielerschutz, die der Glücksspielstaatvertrag erstmals vorsieht. Ab 2023 soll es eine bundesweite Kontrollbehörde geben, die alle Glücksspielanbieter überprüft. So soll beispielsweise sichergestellt werden, dass das im Glücksspielstaatsvertrag festgelegte Einsatzlimit von 1.000 EUR pro Person und Monat tatsächlich garantiert wird. »Es ist gut, dass es jetzt zumindest überhaupt ein Limit gibt. Die Grenze ist aber zu hoch«, meint Thomas Bauer von der Glücksspiel-Suchtberatung der Stadtmission. Neu ist auch eine sogenannte Sperrdatei, in der sich Spieler*innen registrieren können und damit jegliche Zugänge zu Glücksspielangeboten, seien es Automaten, Sportwetten, Onlinespiele oder Casinos, für mindestens drei Monate verlieren. Bisher sei das allerdings nur die Theorie. »Wir haben bereits mehrfach mit unseren Klienten diese Sperrung beantragt. In der Praxis hat sie aber nicht funktioniert. Die Betroffenen konnten trotzdem weiterspielen«, bemängelt Diesener. Sie glaubt, dass sich solche Lücken frühestens schließen, wenn eine funktionierende Kontrollbehörde, den Spielerschutz tatsächlich absichert. »Bis 2023 dauert es aber noch – und zwar viel zu lang.«

Aktionstag fördert Risikobewusstsein

Gerade weil die Suchtprävention im neuen Glücksspielstaatsvertrag aus Sicht von Diesener und Bauer zu kurz gekommen ist, nutzen beide den bundesweiten Aktionstag: »Wir wollen Menschen bewusstmachen, dass von den Spielangeboten immer ein Risiko ausgeht. Aber auch: Dass es wirksame Hilfe gibt, wenn man das Gefühl hat, immer wieder stark getriggert zu werden, die Kontrolle zu verlieren oder schon tief in Schulden und sozialen Problemen steckt.« Auch für Angehörige sei es wichtig, Betroffene anzusprechen, die eignen Sorgen offenzulegen oder klare Grenzen zu ziehen. »Zum Beispiel, wenn Sie von jemandem um Geld gebeten werden, weil der eigene Kreditrahmen ausgeschöpft ist und die Schulden wachsen. Das ist eher ein Alarmzeichen. Mit Geld helfen sie kein Problem lösen«, betont Bauer.

Diese und andere wichtige Infos werden Diesener und Bauer am diesjährigen Aktionstag auch über die Social-Media-Kanäle der Stadtmission streuen – zusammen mit einer Einladung: »Unsere Glücksspiel-Suchtberatung in Nürnberg steht Betroffenen und Angehörigen offen.« Jedes Gespräch dürfe dabei unverbindlich bleiben. »Fortschritt bewirkt es immer.« Gemeinsam mit der Fachstelle der Stadtmission Nürnberg werden sich 25 weitere in ganz Bayern mit Infoständen und Onlineaktionen am 29. September einbringen.

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg