»Nie leichtfertig, aber immer aus Not«

Wenn Politik über das Leben Ungeborener entscheiden muss, wird es hitzig: Denn eindeutig richtig oder falsch gibt es in diesen ethisch heiklen Fragen nicht. Das war bei den jüngsten Debatten um das Werbeverbot bei Schwangerschaftsabbrüchen oder kassenfinanzierte Gentests wieder zu beobachten. Ruth Persau, Leiterin der Schwangerenberatung der evangelischen Stadtmission Nürnberg, bezieht Position für die Frauen.

Ein Interview.

Eine Frau mit grauen Locken, Brille und blauer Bluse sitzt an einem Beratungstisch einer jüngeren Frau mit braunen Haaren gegenüber.

Ruth Persau leitet seit 2009 die Sexual- und Schwangerenberatung der Stadtmission Nürnberg.

Liebe Frau Persau, wie erleben Sie die aktuellen politischen Debatten?

Ich finde, den Frauen wird in den öffentlichen Diskussionen häufig subtil unterstellt, sie machen leichtfertig einen Abbruch. Ich habe in all meinen Jahren hier aber noch nicht eine Frau erlebt, die einfach gedankenlos sagt: Okay, dann treib ich halt ab. Frauen in einem Schwangerschaftskonflikt sind immer in einer Notlage. In den öffentlichen Diskussionen ist das zu wenig im Fokus.

Können Sie ein Beispiel erzählen?

Da denke ich spontan an ein Paar, das immer Kinder wollte, aber keine eigenen bekommen hat und über Jahre sehr viel Geld in eine Kinderwunschbehandlung investiert hat. Es hat aber nicht klappen wollen. Irgendwann haben sie mit dem Thema abgeschossen. Nur wenig später wurde der Mann schwer krank und starb schließlich. Prompt in diesen, letzten Krankheitsmonaten wurde die Frau ungeplant schwanger. Sie kam zu mir in einer tiefen Trauersituation, verzweifelt und sagte: Ich glaube einfach nicht, dass ich das jetzt allein mit meinen Kräften schaffen werde.

Häufig sind auch die Fälle, in denen Paarbeziehungen bereits beendet wurden oder eine Trennung im Raum steht, Frauen keinerlei Unterstützung von ihrem Partner haben oder einfach wissen, dass ihre Kraft für ein weiteres Kind nicht mehr reicht.

Klammern wir einmal sehr schwere Fälle aus, beispielsweise wenn Frauen durch Gewalt schwanger werden. Kann man von Menschen, die keine Kinder wollen, nicht erwarten, dafür zu sorgen, keine zu bekommen?

Die meisten Menschen sind sehr verantwortungsvoll und verhüten gewissenhaft. Ich sage aber auch: Wir haben keine Verhütungsmittelfreiheit in Deutschland. Verhütungsmittel kosten. Die günstigeren sind für viele aus gesundheitlichen oder persönlichen nicht geeignet. Es wäre gut, wenn alle Menschen kostenlosen Zugang zu Verhütungsmittel hätten. Denn ich erlebe immer wieder Frauen, die das Thema in die Hand nehmen wollen, aber an der Finanzierung scheitern.

Und die, für die Verhütung nicht am Geld scheitert?

Es gibt einen Teil der Sexualität, der lässt sich nicht steuern. Paare können so leidenschaftlich miteinander sein, dass die Verhütung einfach hinten runter rutscht. Wir sind keine Roboter, sondern Menschen mit Emotionen. Wir können Leben nicht hundertprozentig kontrollieren. Außerdem hat jedes Verhütungsmittel auch eine bestimmte Versagerquote. Deswegen ist diesbezügliche Aufklärung von Jugendlichen aber auch Erwachsenen ein wichtiger Schlüssel.

Gerade in einer evangelisch gebundene Beratungsstelle: Sind Sie manchmal in einem Dilemma, weil es in Schwangerschaftskonflikten ja immer um zwei Leben geht?

Ja, und beide gilt es zu schützen. Das geht jedoch nur mit der Frau. Sie muss ja sagen können, damit sich das Ungeborene gut entwickeln kann. Die Fürsorge für sich selbst, der Selbsterhalt einer Frau, darf der Fürsorge für ein ungeborenes Leben nicht nachstehen. Unentschiedene kann ein Beratungsgespräch ermutigen, ein Kind zu behalten. Ich weiß aber auch, dass jede die zu uns kommt, in einer persönlichen Not ist. Und ich glaube, dass genau das ist, was auch Gott sieht: Eine Frau in Not. Warum soll Gott dich verstoßen? Ein liebender Gott hilft dir tragen, welchen Weg du auch gehst. Auch mit unserem christlichen Background beraten wir also in jedem Fall
ergebnisoffen. Dazu verpflichtet uns auch der Gesetzgeber.

Wie beurteilen Sie den Kompromiss zum § 219, der das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche zwar nicht aufgehoben, aber etwas abgemildert hat?

Ärzte und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, dürfen jetzt auf ihrer Homepage darauf hinweisen, dass sie Abbrüche machen. Sie dürfen jedoch keine Informationen über die in ihrer Praxis angewandten Methoden veröffentlichen. Das halte ich für problematisch. Denn online stoßen viele Frauen bei ihren Recherchen dann auf unseriöse oder sehr verunsichernde Beiträge zum Schwangerschaftsabbruch.

Wo finden Frauen verlässliche Informationen zum Schwangerschaftsabbruch und zu entsprechend ausgebildeten Ärzten*innen?

Bei ihren behandelnden Gynäkologen oder in einer Liste, die sie bei ihrer Krankenkasse oder beim Gesundheitsamt erfragen können. Auch die Bundesärztekammer soll künftig eine Liste führen, auf der sich Ärzte mit ihrem Namen und ihren Methoden registrieren lassen. Diese Liste soll dann auch im Internet über die BZgA zugänglich sein. Ich bin aber sehr skeptisch, ob sich wirklich alle ausgebildeten Fachärzte in das öffentliche Register aufnehmen lassen. Bei dem Thema scheuen Ärzte mitunter die Öffentlichkeit, auch um Abtreibungsgegnern nicht öffentlich ausgesetzt zu sein.

Andere Debatte: Pränatale Bluttests vor der 12. Schwangerschaftswoche als reguläre Kassenleistung. Was halten Sie davon?

Diese Tests können Frauen schon seit 2012 für 150 bis 500€ auf eigene Rechnung machen. Ich glaube, alle Frauen sollten, unabhängig von ihrem Einkommen entscheiden können, ob so ein Test für sie wichtig ist. Bisher sind ärmere Frauen benachteiligt. Die viel gefährlicheren invasiven, spätdiagnostischen Verfahren werden dagegen über die Kasse finanziert. Gleichbehandlung geht anders.

Kommen die frühen Präna-Tests für alle, wäre für mich unbedingt Voraussetzung, dass alle Frauen vor dem Test gut darüber informiert werden, was der Test aussagen kann, wann er überhaupt sinnvoll ist und wie sie mit den vielleicht überraschenden Ergebnissen umgehen können. Dafür müssen wir in Deutschland unsere bisherigen Beratungsnetzwerke und -prozesse für werdende Eltern dringend weiterentwickeln.

Werden Kostenfrei-Tests für alle nicht dazu führen, dass auch immer mehr ungeborene Kinder frühzeitig aussortiert werden?

Die Befürchtung liegt nahe. In Ländern, in denen man eine Kassenzulassung für frühe genetische Bluttests einführte, kamen danach deutlich weniger Kinder mit Trisomie zur Welt. Ich kann deshalb nachvollziehen, wenn Menschen die Kassenfinanzierung aus ethischen Gründen kritisch beurteilen. Ich glaube aber auch, dass das Recht zu entscheiden bei den Eltern liegt. Unsere ethische Verantwortung als Gesellschaft ist, sie so umfassend und gut zu beraten, dass sie eine überlegte, für sie tragbare Entscheidung treffen können. Die Entscheidung für ein Leben mit Kind, das vielleicht eine Behinderung hat, ist ja ebenso schwerwiegend wie die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch. Wie kann ich mich auf ein Leben mit einem behinderten Kind vorbereiten? Wie bewältige ich die Trauersituation nach einem Abbruch? Wir dürfen Menschen in solchen Situationen nicht allein lassen.
Außerdem müssen wir das elterliche Recht auf Nichtwissen verteidigen und verhindern, dass sich Frauen oder Paare künftig rechtfertigen müssen, wenn sie ein behindertes Kind bekommen.

 

Die Fragen stellte Tabea Bozada.

 

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg