Stadtmission warnt vor drastischer Zunahme der Sportwettsüchtigen

Zum Bundesweiten Aktionstag gegen Glücksspielsucht

Knapp 200 suchtkranke Glücksspieler betreut das Suchthilfezentrum (SHZ) der Stadtmission Nürnberg jedes Jahr. Dabei hat sich der Anteil der am SHZ betreuten Sportwetter von zehn auf 20 Prozent in den vergangenen drei Jahren erhöht. In diesen Zahlen sieht das Suchthilfezentrum einen besorgniserregenden Trend: Suchttherapeut Thomas Bauer: »Der Versuch, den Sportwettmarkt 2012 zu liberalisieren, ist gescheitert. Die allermeisten Anbieter werden heute vom Gesetzgeber geduldet, der Markt boomt in einem juristischen Graubereich.« Problematisch sei, dass die Sportwettanbieter ohne staatliche Regulierung aggressiv Werbung betreiben würden, die vor allem Männer in die Sucht locke oder zum Rückfall verleite. Es gäbe beispielsweise kein einziges Bundesligaspiel mehr, dessen Übertragung ohne Werbung der einschlägigen Wettanbieter auskäme. Für die betroffenen, in der Regel sehr sportaffinen Männer, sei das fatal: »Für Suchtkranke oder Suchtgefährdete wird der eigentlich positive Lebensbereich Sport so zu einem ständigen Risikofaktor. Im Verein, in der Sportberichterstattung – Klienten kommen kaum noch um das Wettangebot herum, werden permanent getriggert.« So fordert das Suchthilfezentrum ein generelles Werbeverbot für Glücksspielanbieter und eine effektive Überwachung der lizensierten Anbieter.

 

Was macht die Sportwettsucht aus?

Im Unterschied zu den von anderen Glücksspielen abhängigen Menschen, seien süchtige Sportwetter mit großer Mehrheit junge, sportlich aktive, gut gebildete und gesellschaftlich integrierte Männer. In dem fatalen Glauben, das eigene sportliche Know-How  und nicht Glück ermögliche den Tipp-Erfolg, würden viele in die Abhängigkeit geraten.

Auch Marco Wendler* ging das so. Der heute 40-jährige Familienvater und leidenschaftliche Fußballer kam über Vereinskollegen auf die Idee, erste Spieltipps abzugeben. Seine anfänglichen Erfolge verleiteten ihn zu immer mehr und immer hochdotierteren Wetten, bis er gänzlich die Kontrolle verlor. »Ich habe da zum Teil nächtelang am Rechner gesessen und gezockt. Gerade bei den Onlineportalen verliert man ja total den Überblick über das Geld, das da flöten geht. Klick, klick klick und weg ist es.« An einem Wochenende waren so schnell 2 000 EUR dahin, nach drei Jahren hatte Wendler Schulden in Höhe von 50 000 EUR angehäuft. Selbst als er keine Kredite mehr bekam und das Misstrauen seiner Frau wuchs, konnte er nicht aufhören. »Dann habe ich einfach überall versucht, Bargeld aufzutreiben und in Wettbüros weitergemacht. Meine einzige Sorge drehte sich darum, das Lügengerüst zu Hause aufrecht zu erhalten, um weiterzuzocken.«

Als seine Ehefrau ihm schließlich ein Ultimatum setzte und mit Trennung drohte, wendete sich Wendler 2016 ans Suchthilfezentrum. »Bis ich selber an dem Punkt war, etwas gegen die Wetterei machen zu wollen und nicht zu müssen, hat es aber noch lange gedauert.« 2017 trat er auf Anraten des SHZ eine stationäre Reha an und schaffte den Absprung. Seit einem Jahr lebt er abstinent. Bei der Stadtmission ist er nach wie vor in Beratung. Auch heute, berichtet er, erhalte er trotz Widerruf regelmäßig Werbung und Bonusangebote von Sportwettportalen. »Das ist ein Skandal«, meint auch Suchtberater Bauer.

 

Wann greift die Suchthilfe?

Die allermeisten Betroffenen bringen hohe Schulden und suchtbedingte Probleme wie Trennungen, Arbeitsplatzverlust oder familiäre Konflikte schließlich dazu, sich Hilfe zu suchen. Bis die Spieler an diesem Punkt seien, würden durchschnittlich acht Jahre vergehen, so Suchtberater Thomas Bauer. Auch deshalb erwarte man, dass die Zahl der pathologischen Sportwetter, die in der Suchthilfe ankämen, in den kommenden Jahren noch rasant ansteige. Die Sportwetterei habe ein »schickes Image«. Das sei tückisch. »Das Problem fällt nach außen kaum auf – keine sichtbaren Rauschzustände, die Leute bleiben gut integriert, die Online-Spielexzesse hinter den Geräten lassen sich leicht verbergen.«

»Grundsätzlich ist auch diese Sucht eine Krankheit, die behandelbar ist«, betont Erica Metzner, Leiterin des Nürnberger Suchthilfezentrums. Für die Erfolgschancen könne man auch beim Phänomen der Sportwetten von einer Drittel-Regel ausgehen: 1/3 der Klienten, die eine stationäre Behandlung absolviert hätten, seien auch nach einem Jahr noch spielfrei, ein weiteres Drittel hätte kleinere Rückfälle ohne erneut in die Suchtspirale abzurutschen, der Rest spiele wieder exzessiv.

 

10 Jahre Landes- und Fachstellen Glücksspielsucht in Bayern

Seit 10 Jahren gibt es die Fachstelle Glücksspielsucht am Suchthilfezentrum der Stadtmission. Sie wurde gemeinsam mit dem Glücksspielstaatsvertrag ins Leben gerufen. Darin hat sich der Freistaat dazu verpflichtet, einen Teil seiner Einnahmen aus dem Glücksspiel in die Suchtprävention zu investieren. Die bayernweiten Fachstellen werden über die Landesstelle Glücksspielsucht koordiniert. Die am Suchthilfezentrum der Stadtmission aufgehängte Fachstelle ist mit einer vollen Personalstelle finanziert.

Am bundesweiten Aktionstag (26. September) beteiligen sich auch die Kollegen/Innen der Stadtmission, um Menschen für das Phänomen der Glücksspielsucht zu sensibilisieren. Am Freitag, 28. September, wird u.a. ein Team des Suchthilfezentrums in der Nürnberger Fußgängerzone am Ludwigsplatz  mit Passanten ins Gespräch kommen.

 

 

*Name geändert.

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg