30 Jahre Suchthilfe in "Haus Martinsruh"

Wo chronisch alkoholkranke Menschen ein Zuhause auf Zeit finden.

NÜRNBERG/GRÄFENBERG. Jede*r Siebte in Deutschland trinkt Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Schlimmstenfalls führt der regelmäßige Konsum zur Abhängigkeit mit gravierenden Folgen für Körper und Psyche. In »Haus Martinsruh« finden chronisch alkoholkranke Männer und Frauen, die schon viele therapeutische Ansätze durchlaufen haben, ein stabilisierendes Zuhause auf Zeit. Seit über 30 Jahren leistet die Stadtmission Nürnberg in der soziotherapeutischen Suchthilfe-Einrichtung am Rande der Fränkischen Schweiz wertvolle Hilfe im Leben. »Der Bedarf ist weiterhin groß«, so Einrichtungsleiter Alexander Hübner anlässlich der Jubiläumsfeier am vergangenen Freitag.

»Haus Martinsruh« liegt idyllisch inmitten eines 11.000 Quadratmeter großen Geländes im Dörfchen Kasberg (Stadt Gräfenberg) in der Fränkischen Schweiz. Wo 1992 Jahre die allerersten Bewohner*innen einzogen, leben heute 30 Männer und vier Frauen zwischen 19 und 82 Jahren. Sie alle eint eine schwere Suchterkrankung, die tiefe Spuren hinterlassen hat. »Wir sind eine Anlaufstelle für Menschen, die bei der Suchtberatung waren, die Entgiftungen hinter sich haben oder schon in Langzeittherapien waren«, erläutert Hübner im Rahmen des 30-jährigen Jubiläums (das aufgrund der Pandemie nicht schon 2022 gefeiert wurde, sondern in diesem Jahr nachgeholt wurde).

Dass »Haus Martinsruh« auf eine mehr als 30-jährige Geschichte zurückblicken kann, »das ist der Erfolg aller Mitarbeitenden, die sich hier in den vergangenen drei Jahrzehnten engagiert und mit Herz und Verstand um viele, viele Bewohner*innen gekümmert haben«, betont Kai Stähler, Vorstandsvorsitzender der Stadtmission Nürnberg. »Wir freuen uns über jeden einzelnen und jede einzelne, der/die unsere Suchthilfe-Einrichtung stabilisiert und voller Vertrauen in die Fähigkeit verlassen hat, das eigene Leben künftig wieder selbst zu meistern.« Stählers Dank gilt den Mitarbeitenden, aber auch allen Kooperationspartnern*innen und Kostenträgern*innen, die zum Erfolg der Einrichtung beigetragen haben.

Dabei haben sich die Anforderungen in den vergangenen Jahren gewandelt. Sozialpädagoge und Haus-Leiter Hübner beobachtet, dass die Menschen, die Hilfe brauchen, immer jünger würden. Sie kommen auch nicht mehr ausschließlich mit chronischer Alkoholsucht in »Haus Martinsruh«, sondern haben oft mit mehreren Abhängigkeiten gleichzeitig zu kämpfen, konsumieren zum Beispiel Cannabis oder synthetische Drogen oder leiden an einer Verhaltenssucht. Diese Veränderung bei der Bewohner*innen-Struktur ist auch Anlass für Hübner, das Hilfe-Konzept behutsam anzupassen und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu integrieren, wie er verrät.

Ein geschütztes Umfeld mit klaren Strukturen

Voraussetzung für die Aufnahme in Haus Martinsruh ist Abstinenz. Wer einmal suchtkrank war, kämpft oft sein Leben lang, um sich die eigene abstinente Lebensgestaltung zu erhalten. In »Haus Martinsruh« begleitet ein multiprofessionelles Team die Bewohner*innen auf diesem Weg: Dieses will ein geschütztes Umfeld mit klaren Strukturen schaffen, in dem sich die chronisch suchtkranken Menschen mit ihren unterschiedlichen psychischen und körperlichen Erkrankungen stabilisieren, ihre eigenen Fähigkeiten (wieder)finden und ausbauen können, um so neue Kraft und Ideen für eine selbstständige Lebensführung finden zu können. Der Mindestaufenthalt beträgt ein Jahr, doch oft bleiben die Bewohner*innen deutlich länger.

»Haus Martinsruh« – der Name leitet sich von Martin Luther ab – hat eine lange soziale Geschichte. Bereits 1927 diente das Gebäude sozialen Zwecken: Die Evangelische Gewerkschaftsjugend (Schweinfurt-Nürnberg) hatte dort ein Ferien- und Freizeithaus eingerichtet. Die Stadtmission Nürnberg erwarb das Haus 1943. Bis 1988 wurde ein Kinderheim betrieben. Von 1989 bis 1991 diente das Haus als Wohnheim für Aus- und Übersiedler. 1992 begann die Arbeit als soziotherapeutische Facheinrichtung.
Anfänglich begegneten die Nachbarn*innen »Haus Martinsruh« durchaus auch mit Skepsis. Doch das ist lange passé. Gräfenbergs Zweiter Bürgermeister Hans Derbfuß betonte in seinem Grußwort die Bedeutung der Suchthilfe-Einrichtung und die gute Nachbarschaft.

Das Jubiläum wurde mit einem Fest für Bewohner*innen, Mitarbeitende, Kooperationspartner*innen und Spender*innen gefeiert, die »Haus Martinsruh« unterstützen. Fast 450 Spender*innen haben sich an der Generalüberholung des großen Gartens finanziell beteiligt und damit eine grüne Oase geschaffen. »Ihnen gebührt unser allerherzlichster Dank«, so Vorstandsvorsitzender Stähler und Einrichtungsleiter Hübner unisono.

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Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg