Menschen im Leben Blog der Stadtmission Nürnberg

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FAMILIENFREUNDLICHE SCHICHTEN KÖNNEN ALLE MAL BRAUCHEN Tabea Bozada

Freitagmittag, 13:30 Uhr im Wohnbereich 3, Karl-Heller-Stift, Röthenbach a. d. P.: Man hört sie lachen, man sieht sie eilen – Wohnbereichsleiterin Layla Turkiewicz-Esslinger hat noch eine gute Stunde Arbeit vor sich, seit heute Morgen um 06:00 Uhr ist sie im Dienst. Spät- und Nachschichten besetzt die 35-Jährige dagegen nicht – nur so bringt die Alleinerziehende, die täglich knapp 100 km zur Arbeit pendelt, Pflegejob und Familie unter einen Hut. Nicht nur ihre Vorgesetzte, auch ihr Team ist ihr entgegengekommen. 06:00–14:30 Uhr – es ist Laylas ganz persönliche familienfreundliche Schicht.

Layla ist auf ihrem Wohnbereich nicht die einzige mit kleinen Kindern zuhause. Im Gegenteil. Die eine, familienfreundliche Schicht, die für alle passe, gebe es gar nicht, meint Einrichtungsleiterin Ursula Esslinger. »Wir haben hier im Haus 20 verschiedene Schichten, die kürzeste vier Stunden lang«, erzählt sie. So ist das auch in Laylas Team: Eine Kollegin fängt immer erst nach 08:00 Uhr an, eine andere ist ausschließlich nachts im Dienst. Auch Layla passiert es immer mal wieder, dass sie erst um 08:00 Uhr im Wohnbereich beginnen kann, zum Beispiel, wenn die Kinder krank sind. »Da hab’ ich schon öfter um 03:00 Uhr morgens die Nachschicht anrufen müssen. Und es klappt dann auch.«

»Im Altenheim ist immer etwas zu tun«, konstatiert ihre Chefin Ursula Esslinger. Und genau deshalb seien auch starre Schichtpläne entbehrlich. Man wecke ja auch nicht morgens um 06:00 Uhr alle  Bewohner*innen gleichzeitig, sondern berücksichtige deren Gewohnheiten. Mobilisieren, Waschen, Essen, Wunden versorgen, Medikamente ausgeben, mit Ärzten und Angehörigen sprechen – darum müssten sich Pflegende rund um die Uhr kümmern, warum also Mitarbeitende an fixe Zeitpläne ketten?

Layla Turkiewicz-Esslinger

ist Wohnbereichsleiterin im Karl-Heller-Stift. Aktuell lässt sie sich zudem zur Pflegedienstleiterin ausbilden.

Natürlich ist es einfacher, feste Schichten einzuteilen, statt individuelle Dienstpläne zu stricken. Als Wohnbereichsleiterin puzzelt auch Layla Turkiewicz-Esslinger jeden Monat die Einsatzzeiten ihrer Pflegekräfte aufs Neue zusammen. Gleichzeitig sagt sie: »Irgendwann kennt man seine Leute und weiß, wie es zusammenpasst.« Der Aufwand scheint sich zu lohnen: »Unser Team ist sehr stabil, auf meinen Fachkräfte-Stamm ist Verlass.« Die Wertschätzung beruht auf Gegenseitigkeit: Dass Layla auch bei ihren Mitarbeitenden einen Stein im Brett hat, zeigt nicht nur der Blumenstrauß, mit dem sie heute über die Gänge des Wohnbereichs fliegt – von einer Kollegin: »Ein Dankeschön für den letzten Dienstplan.« Layla grinst: »Vielleicht war’s auch Bestechung.« Tatsächlich, die Bilanz im Wohnbereich 3 kann sich sehen lassen: Auf zwei Mitarbeitende aus der Zeitarbeit kommen neun langjährige, feste Pflegefachkräfte – es sind zu 90 % Frauen.

Nach wie vor ist der Pflegeberuf ein Frauenberuf. Und nach wie vor lastet die meiste familiäre Care-Arbeit auf Frauen. Das weiß auch Einrichtungsleiterin Ursula Esslinger, die aus Erfahrung sagt: »Die schwierigste Zeit ist eine begrenzte Zeit: Bis die Kinder etwa zehn Jahre alt sind, dann wird es leichter.« Dass die Dienstpläne im Karl-Heller-Stift flexibel und familienfreundlich gestaltet werden können, liege letztlich auch an der großen Solidarität, die zwischen den Kollegen*innen herrsche: »Das alle sich absprechen und Rücksicht nehmen müssen, das kann schon auch anstrengend sein. Im Hinterkopf haben aber alle: es kann auch mich treffen, die wegen Kindern oder anderen in der Familie nicht mehr stur acht Stunden im Drei-Schichten-Modell arbeiten kann.«

Eines scheint im Team von Layla Turkiewicz-Esslinger klar: Das größte Problem sind fehlende Kollegen*innen, und nicht jene, die Familie haben. Irgendwie gehören die Kids des Teams sogar mit zur Einrichtung. Auch Layla bringt ihre Sprösslinge, Neven und Chevaan, öfter mit. »Wenn die Kinder mit auf dem Wohnbereich sind, da blühen die Bewohner richtig auf. Dann seh’ ich die rumalbern und mit den Roll stühlen lossausen, Süßigkeiten holen. Das sind schon auch echte Momente«, lächelt die 35-Jährige, die sich selbst einen »Familienmenschen« nennt. Es sei ihr regelrecht Mission gewesen, diese familiäre Atmosphäre auch auf ihrem Wohn- bereich zu verbreiten.

Trotzdem, ohne eigene Familie im Rücken, starke Nerven und Energie, die Layla von Natur aus mitbringt, hätte sie es kaum zur Wohnbereichsleitung, wohl auch nicht auf Dauer in der Pflege geschafft. »Meine Eltern in Bayreuth wohnen mit uns im Haus. Die sind immer da, nach der Schule, nach dem Kindergarten, um zum Zahnarzt zu fahren und so weiter.« Und so glaubt die taffe Frau, dass sie ihren »wunderbaren Beruf« auch »bis zum Schluss« machen wird. Die nächste Etappe hat sie schon im Visier: Ihre Ausbildung zu Pflegedienstleitung hat bereits begonnen.

Anders Normal Tabea Bozada

»Es gab keine Woche, wo mich nicht irgendwelche Leute, oft Fremde auf der Straße, beleidigt haben. Natürlich ziehst du dich da zurück«, erzählt die 33-jährige Sora Stiegler. Der Grund? Bis im vergangenen  Jahr wog sie noch etwa 190 kg. Heute sind es 70 kg weniger. Für die junge Frau ist das ein Erfolg und Entlastung gleichermaßen. Denn die Kilos stehen sinnbildlich auch für eine psychische Last, die sie seit ihrer Teenagerzeit durchs Leben schleppt.

»Recht groß und pummelig«, das war Sora Stiegler schon als Kind. Und: »Ein kleiner Nerd«, wie sie lächelnd bemerkt. Mit unendlicher Neugier habe sie alles, was mit Computern zu tun gehabt habe, gemeinsam mit ihrem Opa erforscht. Lange später wird sie eben diese Neugier zum Beruf machen. »Mit Computern kann ich einfach besser einig werden, als mit Menschen«, meint die sensible Frau.

Als Sora Stiegler 18 ist, verselbstständigt sich ihre Geschichte auf bittere Weise: Nach einem Suizidversuch muss die junge Frau sich eineinhalb Jahre in einer psychiatrischen, geschlossenen Klinik behandeln lassen. »Gefühlt habe ich dort nur noch geschlafen und gegessen.« Soras Gewicht schnellt in dieser Zeit auf 210 Kilo hoch, nur mühsam wird sie später Bruchteile davon wieder los. Seit jenem Klinikaufenthalt weiß Sora Stiegler auch ganz offiziell von ihrer Mehrfach-Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen, Borderline. Dass gleich mehrere psychische Erkrankungsbilder wie bei Sora zusammenfallen sei eher die Regel als ein Einzelfall, sagt Ellen Vester vom Betreuten Wohnen für Menschen mit seelischer Erkrankung, die sie heute ambulant betreut.

Sora Stiegler*

ist Klientin des Betreuten Wohnens für Menschen mit seelischer Erkrankung. Mittlerweile steckt sie wieder voller Lebensenergie: »Ich habe meine Lebensqualität wieder.«

*Name geändert

Doch Sora Stiegler ist eine Kämpfernatur und »ein typischer Streber«, wie sie selbst sagt. Immer wieder setzt sie sich neue Ziele, will nach ihrem Schulabschluss mit Einserschnitt auch eine IT-Ausbildung schaffen. Zwei Versuche scheitern. Regelmäßig muss die junge Frau in die psychiatrische Klinik und sucht im Anschluss neue Projekte, die sie akribisch durchplant. Zeitpläne, Meilensteine – all das habe ihr immer Sicherheit gegeben. Die Zukunft schien damit irgendwie steuerbar, weniger beunruhigend. Ellen Vester beeindruckt diese innere Stärke: »Immer wieder aufstehen und anfangen«, das zeichne Sora Stiegler aus. »Da ist so viel Lebensenergie, trotz Suizidgedanken.«

Mit dieser Lebensenergie schafft es Sora Stiegler auch, sich im Mai 2020 – trotz Panik vorm OP-Saal – einer operativen Magenverkleinerung zu stellen. Unzähligen Arztbesuche und Ämtergänge hatte sie auf dem Weg dorthin bewältigt. Ein Jahr später ist sie 70 kg leichter und wirkt erleichtert wie lange nicht. Ihr Leben komme allmählich in »normale« Bahnen. Fast zwei Jahre schon war sie nicht mehr in der Klinik. »Ich habe meine Lebensqualität wieder.«

Und natürlich weiß Sora Stiegler auch heute genau, wie es für sie weitergeht: »In 110 Tagen fängt meine neue Ausbildung an«. Zur Kauffrau für IT-Systemmanagement. Sie strahlt. Und mit ihr Ellen Vester. Für Sora ist dieser Rückhalt einzigartig. Vester kann sie anvertrauen, was ihr in vielen anderen Bezügen als Stigma anheftet: »Wenn es mir psychisch nicht gut geht – teile ich meine Gedanken mit ihr.« Aus ihrem Freundeskreis dagegen halte sie das »ganze Psychozeug« raus. Oftmals wäre sie froh, wenn »ihr ganzer Leidensweg, die Diagnosen, auch nicht mehr in jeder Akte stünden«. Und so spürt man genau, was die 33-Jährige meint, wenn sie ihren wichtigsten Zukunftswunsch »ein  ganz normales Leben« nennt.


AUCH DIE ARBEIT MIT MENSCHEN BRAUCHT EIN BACK-OFFICE Tabea Bozada

»Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass ich auch mit Verwaltungsarbeit etwas für Menschen bewirken kann«, sagt Helen. »Das ist viel mehr Motivation, als in irgendeinem Wirtschaftsunternehmen zu sitzen und vor allem für den Gewinn zu arbeiten.« Helen sagt das nicht einfach nur so. Sie hat die Menschen kennengelernt, für die sie sich heute in der Verwaltung einsetzt: 18 Monate engagierte sie sich im Rahmen eines Bundesfreiwilligendienstes im Martin-Luther-Haus, bevor sie ihre Ausbildung antrat. In dem Jugendhilfeverbund der Stadtmission wachsen etwa 200 Kinder und Jugendliche auf, die aus schwierigsten sozialen Verhältnissen stammen. Die Eindrücke, die Helen mit ihnen gesammelt hat, haben den Grundstein für ihre berufliche Entwicklung gelegt. Die diakonische Arbeit war ihr ans Herz gewachsen.

Helen Wegener

schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: »Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass ich auch mit Verwaltungsarbeit etwas für Menschen bewirken kann.«

Und es geht weiter

Also bewarb sich Helen 2017 für eine Ausbildung in der Zentralen Verwaltung der Stadtmission. »Das Kaufmännische habe ich für eine gute berufliche Grundlage gehalten« und gleichzeitig, sagt sie, habe sie sich später schon immer im Büro gesehen. Langweilig sei das keineswegs. »Die Ausbildung ist total abwechslungsreich« und in einem großen Unternehmen wie der Stadtmission habe sie die Chance ganz verschiedene Ressorts kennenzulernen: Von der Finanzbuchhaltung, über die Immobilienverwaltung bis hin zum Personalwesen – Helen hat während ihrer Ausbildung schon überall mitgetüftelt und Verantwortung übernommen - zum Beispiel bei der Haushaltsplanung von insgesamt 67 Einrichtungen und Diensten der Stadtmission mit. »Das machte total Spaß. Ich konnte mich in die Aufgaben rein fuchsen und versuchen, eigene Lösungen zu entwickeln.« Im Sommer 2020 schloss Helen die Ausbilund erfolgreich ab.

Und heute? Gute Leute lassen wir natürlich nur ungern ziehen. Deshalb hat die Abteilung Finanzierung die Chance ergriffen und Helen ein unbefristetes Übernahmeangebot gemacht. Das hat sie gerne angenommen.


Pflegen mit Kraft und Ruhe Tabea Bozada

»Das Miteinander mit den Bewoh­nern macht es aus. Ich krieg so viel mit von den Menschen hier.« Marco Meußel ist Altenpfleger im Karl-Heller-Stift. Er hat sich auch nie einen anderen Job gewünscht. Schon mit 17 hat er in der Pflege angefangen, war erst Praktikant, dann Pflegehelfer und schließlich staatlich anerkannter, examinierter Altenpfleger. »Die Aus­bildung war richtig knackig«, sagt er, »aber ich hab immer gleich auspro­biert, was ich in der Schule gelernt hatte«. Marco Meußel ist der einzige männliche Kollege im Team seines Wohnbereiches. Es spiele für ihn eigentlich keine Rolle, dass er als Mann in diesem Beruf immer noch etwas Besonderes ist. Gleichzeitig merkt er: »Ich bin hier richtig. Ich habe Kraft und eine gewisse Ruhe« – das würden sowohl die Bewohner*innen als auch die Kolleginnen sehr an ihm schätzen. Der Arbeitsalltag fordert den jungen Mann. Das Personal ist knapp, oft wünscht er sich mehr Zeit für die alten Menschen, die er betreut. »Am wichtigsten ist es mir immer, dass die alten Herren und Damen glück­lich sind, dann kann ich mich an die Dokumentation machen.« Letztere nehme mitunter eine Stunde pro Schicht in Anspruch.

Ein Pfleger sitzt neben einer älteren Dame und lächelt.

Marco Meußel

arbeitet im Karl-Heller-Stift. Auf seinem Wohnbereich ist er der einzige männliche Altenpfleger.

Meußel findet es schade, dass viele gar nicht wüssten, wieviel Leben im Altenheim stattfinde und wie viel er von seinen Bewohner*innen zurück­bekomme. Anders als im Kranken­haus, begleite er die Menschen im Karl-Heller-Stift als Pfleger ja oft über Jahre. »Die vielen Geschichten, die sie mit mir teilen, das Vertrauen, das sie gewinnen, das ist total er­füllend.« Mit vielen seiner Bewohne­r*innen habe er sogar eine nonverbale Sprache entwickelt, die nur funktioniere, weil man sich kennen und vertrauen gelernt habe. »Vor allem bei den demenzkranken Männern und Frauen, die sich selbst nicht mehr richtig artikulieren kön­nen, ist das wichtig.« Empathie ge­hört in seinem Job zum Handwerks­zeug. Aber eben auch eine Menge medizinisches, psychosoziales und nicht zuletzt verwalterisches Know­ How.


Von der »Fremden« zur Aufsteigerin Tabea Bozada

Meskerem (27) ist glücklich. Sie macht seit einigen Monaten eine schulische Berufsausbildung in ihrem Traumberuf: Assistentin für Informatik. Und sie fühlt sich si­cher – für Meskerem keine Selbst­verständlichkeit.

Nur noch manchmal kehrt es zu­rück, dieses mulmige Gefühl der Unsicherheit, das sie in ihren ersten Jahren in Deutschland täglich begleitete: 22 war Meskerem, als sie vor fünf Jahren aus Äthiopien flüchtete und mit ihrer Mutter nach Deutschland kam. Drei Jahre sollte die Ungewissheit damals andau­ern – bis sie hier 2016 endlich einen gesicherten Aufenthaltstitel erhielt. Noch bis vor Kurzem teilte sich die junge Frau mit ihrer Mutter ein kleines Zimmer in einer Gemein­schaftsunterkunft für Geflüchtete.

In dieser schwierigen Zeit fand Mes­kerem auch Halt bei Brigitte Fartaj, die die Integrationsberatung der Stadtmission leitet. Mit ihrer Hilfe gelang es Meskerem Deutsch zu lernen und die hier anerkannten Schulabschlüsse nachzuholen. Um dieses Pensum zu schaffen, holte sich Meskerem bei den Schulförderkursen zusätzliche Hilfe. Zum Lernen zog sie sich da­mals in die Stadtbibliothek zurück. Schritt für Schritt nahm die clevere junge Frau erst die Hürde zum qua­lifizierenden Mittelschulabschluss und absolvierte schließlich mit ebenso viel Ehrgeiz den mittleren Schulabschluss. Damit öffnete sich Meskerem selbst die Türen zu ihrem Traumberuf.

MESKEREM fühlt sich sicher: »Ich kann und darf an meine Zukunft denken, allein das macht mich schon glücklich.«

Heute lebt Meskerem in einer eige­nen kleinen Wohnung. Sie wird Assistentin für Informatik, plant und tüftelt eifrig an ihrer beruflichen Zukunft. Meskerem weiß, dass sie sich dabei jederzeit Unterstützung bei der Stadtmission holen kann – z. B. wenn es mit Behörden hapert, wenn sie in Prüfungszeiten Rückhalt braucht oder einen Praktikumsplatz sucht. »Ich kann und darf an meine Zukunft denken, allein das macht mich schon glücklich«, sagt die 27 ­Jährige und lächelt.


Ein Schlafsack als Zuhause Tabea Bozada

»Nur noch Überleben war das zum Schluss.« Die letzten paar Münzen ausgegeben, die Kleidung am Leib durchnässt. Seinem improvisierten Waldlager, irgendwo am Stadtrand, würde der Winter den Rest geben. 2014 war für Roland Tschierschky, heute 54, klar, dass er raus musste aus dem Wald. Die Hilfen für Menschen in Wohnungsnot sind damals sein Rettungsanker. Eine Beraterin hilft ihm, sein Leben wieder etwas zu ordnen, vermittelt Grundsicherung, Schuldnerberatung, Krankenversicherung – und schließlich eine kleine Einzimmerwohnung, die Tschierschky einen »Palast« nennt.

Wer hört, wie sich der Nürnberger durch seine letzten 20 Lebens-jahre geschlagen hat, staunt nicht schlecht: Als die Beziehung zu seiner Verlobten 2000 zerbricht, verlässt Tschierschky Nürnberg blitzartig. Er kann den Bruch nur mit Abstand zum alten Leben ertragen. Es folgen Jahre, in denen er manchmal im Monatstakt seinen Aufenthaltsort wechselt. Er arbeitet auf Baustellen, in der Landwirtschaft, auch als Fensterputzer ist er in Süddeutschland unterwegs. Gelegenheitswohnungen, manchmal Bruchbuden, kommen und gehen. Hier und da spart er sich ein paar Euro an. Viel aber bleibt nicht.

ROLAND TSCHIERSCHKY wollte nie obdachlos sein. Der Wald war seine letzte Station, bevor er zur Stadtmission kam.

»Ich wollte nie wie ein Obdachloser auf der Straße leben.« Und genauso wenig wollte Tschierschky im Leben je abhängig sein, angewiesen auf andere Menschen. Im Zweifel, meint er, müsse er es sowieso alleine schaffen – das hat der 54-Jährige bereits in Kindertagen verinnerlicht: Ein brutaler Stiefvater taucht in seinen Erzählungen auf, der Tschierschky schon mit zwölf auf die Straße trieb: »Liebe habe ich mir draußen geholt. Ich war dort zwar immer der Kleinste, hatte aber ein großes Mundwerk.«

2013 kommt Tschierschky zurück nach Nürnberg, um seine demente Mutter in Obhut zu nehmen. Er räumt ihre Wohnung aus und sucht ein Pflegeheim, in dem er sie »gut aufgehoben« weiß. Und obwohl er zurück in der vermeintlichen Heimat ist, sagt er »ich habe nirgendwo hingehört«. So scheint ihm damals der Wald das beste Zuhause, das er sich vorstellen kann. Irgendwann aber ging auch das nicht mehr. Wohin? Dass er zur Stadtmission gekommen sei, sagt Tschierschky, sei ein Glücksfall gewesen. Denn er habe jetzt nicht nur wieder ein Dach über dem Kopf, er habe Menschen kennengelernt, denen er Vertrauen schenke: »Für die Leute bei der Stadtmission lege ich meine Hand ins Feuer.«

Wenn er könnte, würde Roland Tschierschky gern nochmal bei Null anfangen – irgendwo weit weg von Deutschland. Und da ist der tiefe Wunsch, irgendwann anzukommen. »Es ist kein Ziel, aber meine Hoffnung.«

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg