Häusliche Gewalt: Auch Täter*innen wollen sich ändern

Seit August gibt es »RESPEKT!«, die neue mittelfränkische Fachstelle für Täter*innen häuslicher Gewalt. Elf weitere Hilfestellen sind in den vergangenen Wochen in allen bayerischen Regierungsbezirken entstanden. Ihr gemeinsames Ziel: Die Fälle häuslicher Gewalt im Freistaat eindämmen, indem Täter*innen geholfen wird.

NÜRNBERG.   Die Corona-Krise galt auch als Brandbeschleuniger für häusliche Gewalt. Noch fehlen aktuelle Zahlen für diese Monate, doch auch ohne Pandemie sind die Ergebnisse früherer Studien alarmierend: Allein 20-30 % der Frauen in Deutschland erleben mindestens einmal in ihrem Leben partnerschaftlicher Gewalt. Wie viele Männer unter physischer oder psychischer Misshandlung zuhause leiden, ist dagegen kaum erforscht.

Die Sozialpädagogin Susanne Scharch und der Psychologe Felix Ter-Nedden sind ab sofort für alle jene Menschen aus Mittelfranken Ansprechpersonen, die Gewalt in Partnerschaft und Familie ausüben und diese beenden wollen.

Die beiden besetzen »RESPEKT!«, eine neue Fachstelle für Täter*innen in Nürnberg, die eingebettet ist in das bayernweite Netz gegen häusliche Gewalt. Das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales hat dieses Hilfenetzwerk 2020 ins Leben gerufen. In jedem Regierungsbezirk gibt es nun ein bis zwei solcher Fachstellen.

Täter unterstützen, Opfer schützen

»Täterhilfe ist Opferschutz«, davon ist nicht nur das Team der Nürnberger Fachstelle überzeugt. »Beim Thema häusliche Gewalt arbeiten wir immer im System. Und die Vernetzung mit Opferhilfeeinrichtungen, Jugendamt oder Gericht entscheidet wesentlich über den Erfolg unserer Trainingskurse«, betont Felix Ter-Nedden.

Die Bayerische Staatsregierung sieht in der Arbeit der neuen Fachstellen zudem einen wichtigen »Präventionsbaustein«, der die »generationenübergreifende Weitergabe von Opfer- und Täterverhalten« unterbrechen kann.

Häusliche Gewalt – männliche Gewalt?

80% der Tatverdächtigen aus dem Spektrum häusliche Gewalt sind laut der jährlichen Sonderauswertung der Bayerischen Polizei Männer. Ter-Nedden und Scharch richten ihr Angebot trotzdem an alle Geschlechter und wollen damit auch Stereotype überwinden. Denn die Verengung des Themas »häusliche Gewalt« auf prügelnde Männer lenke auch von vielen anderen Formen der Unterdrückung ab, die gleichermaßen unter »häuslicher Gewalt« zu fassen sind. »Menschen kontrollieren oder unterbinden systematisch die Freundschaften ihrer Partner, kontrollieren ihre Finanzen, sie stalken ihre Partner*innen oder demolieren die Einrichtung zuhause«, zählt Susanne Scharch beispielhaft auf. »Für diese Formen psychischer, sozialer und ökonomischer Unterdrückung sind wir aber viel weniger sensibilisiert und sie finden sich auch seltener in Statistiken oder Strafanzeigen zum Thema wieder.«

Veränderung ermöglichen

Die neue Nürnberger Fachstelle »RESPEKT!«, die paritätisch von Stadtmission Nürnberg und Treffpunkt e.V. getragen wird, startet im Oktober zunächst mit einem Trainingsprogramm für Männer, die im häuslichen Kontext gewalttätig geworden sind. Der Intensivkurs ist einzigartig in Mittelfranken und – anders als viele Antiaggressionstrainings – kostenlos. Susanne Scharch und Felix Ter-Nedden ist der offene Zugang wichtig: »Es handelt sich um ein Training, nicht um eine Therapie. Das erleichtert für manche den ersten Schritt.«

Dennoch macht das »RESPEKT!«-Team in ihrem Programm eines zur Voraussetzung: Die Täter müssen ernsthaft bereit sein, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und an sich zu arbeiten. »Nur so hat das Training auch Chancen auf Erfolg«, ist Sozialpädagogin Susanne Scharch überzeugt. Etwa 40 Teilnehmer*innen pro Jahr können sie und ihr Kollege aktuell in das Präventionsprogramm aufnehmen. Ihre erste Gruppe startet Ende Oktober und wird sich dann wöchentlich für einen Abend pro Woche treffen. 25 Gruppensitzungen sind geplant, bei Bedarf können Einzeltrainings oder Paargespräche ergänzt werden.

Ausreichend Nachfrage sei bereits jetzt da. Manche kämen aus freien Stücken, weil sie der Gewaltspirale zuhause ein Ende machen wollen. Häufiger aber komme noch Druck von außen dazu, erzählen sie: »Zum Beispiel eine richterliche Empfehlung während eines Strafverfahrens oder eines Sorgerechtsstreites. Oder die Frau steht kurz davor, mit den Kindern auszuziehen.«

Eskalationsspiralen unterbrechen

Damit die Teilnehmenden ihr Verhalten verändern, müssen sie sich hinterfragen lernen: Wann beginnt Gewalt und wann wird aus einem Konflikt ein inakzeptabler Übergriff? Welche Folgen haben meine Taten für Partner*in und Kinder? Welche Rollenbilder oder eignen Opfererfahrungen haben mein Verhalten negativ geprägt? Und wie kann ich eskalierende Stresssituationen und Konflikte künftig besser aushalten oder entschärfen? Fragen wie diese, werden Scharch und Ter-Nedden mit ihrer Gruppe bearbeiten. Auch Nachrücker hat das »RESPEKT!«-Team bewusst eingeplant: »Wenn nach sechs Wochen jemand neues in die Gruppe kommt, bringt er automatisch neue Aspekte mit ins Gespräch. Wer schon länger dabei ist, merkt dann vielleicht, was er selbst schon geschafft hat.«

Typisch Täter?

Die wenigsten Auslöser häuslicher Gewalt seien den Tätern*innen bewusst, erklärt Psychologe Ter-Nedden. Manches sei in Kindertagen geprägt, zum Beispiel, wenn Eltern Konflikte nie konstruktiv bearbeitet und stattdessen gewaltvoll beendet oder totgeschwiegen hätten. Susanne Scharch ergänzt: »Ein Kontrollbedürfnis verbindet viele, die zu Gewalt greifen. Das kann aus einem überhöhten Machtstreben oder einfach in Momenten der Überforderung entstehen.« Insgesamt aber gebe es ein Riesenspektrum bei den Tätern*innen, die in allen Milieus zuhause seien, meint Ter-Nedden. Es reiche von unauffälligen, sozial Angepassten, die sich ausschließlich zuhause entladen, über antisoziale oder psychopathische Täter*innen bis zu den emotional-instabilen Charakteren, die häufig auch mit Suchtproblemen zu tun haben. »Und dazwischen gibt es natürlich viel Grau.«

Auch weibliche Täterinnen will die Nürnberger Fachstelle »RESPEKT!« in ihrer Arbeit berücksichtigen. Der erste Intensivkurs ist auf Männer ausgerichtet. Doch auch für Frauen wird es bedarfsorientierte Angebote geben. »Für den Bereich weibliche Täterinnen fehlen zwar noch aussagekräftige Studien. Das heißt jedoch nicht, dass es hier keine Fälle gibt«, meint Felix Ter-Nedden.

Das neue bayerische Netzwerk von Fachstellen für Täter*innenarbeit wird durch das Bayerische Staatsministerium für Familie Arbeit und Soziales finanziert. Alle zwölf Stellen werden von der landesweiten Koordinierungsstelle gegen häusliche und sexualisierte Gewalt mit Sitz in München koordiniert und vernetzt. Einen Tag vor dem Internationalen Tag der Gewaltlosigkeit, am Donnerstag, den 1. Oktober 2020, starten die Partnerstellen mit einer Kick-off Veranstaltung in Nürnberg in die praktische Arbeit.  Die mittelfränkische Fachstelle »RESPEKT!« wird paritätisch von Stadtmission Nürnberg und dem Treffpunkt e.V. getragen. Beide Träger bringen mehrere Jahrzehnte Erfahrung aus der Arbeit mit Inhaftierten und gewaltbezogenen Straftätern*innen mit.

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg