Bundesweiter Aktionstag 2022: »Migrationsberatungen für den Erfolg der Einwanderungsgesellschaft zentral«

Mit einem großen Aktionsstand am Nürnberger Jakobsplatz traten gestern die örtlichen (Jugend-)Migrationsberatungsstellen für einen Abbau von Integrationshürden und eine auskömmliche Finanzierung ihrer Arbeit ein. Ein drastischer Abbau der Beratungskapazitäten droht ab 2023.

Mehr als 20 Millionen Euro weniger: Sicher war dies am gestrigen Aktionstag die prominenteste Zahl, die die Gespräche der Fachleute beherrschte. Denn der Haushaltsentwurf der Bundesregierung für 2023 sieht eine Mittelkürzung von 79 in diesem auf 57 Millionen Euro im kommenden Jahr für die deutschlandweit knapp 1.400 Migrationsberatungsstellen für Erwachsene (MBE) vor. Sollte es zu diesen drastischen Kürzungen von etwa 20% kommen, wird absehbar auch bei den Nürnberger Trägern Fachpersonal wegfallen. Das ist auch deshalb fatal, weil mit den Schutzsuchenden aus Afghanistan und der Ukraine seit 2022 die Beratungszahlen in den Integrationsstellen weiter und deutlich steigen. »Die Nachfrage nach unserer Hilfe überschreitet nicht erst seit diesem Jahr unsere tatsächlichen Kapazitäten«, sagt Dietlinde Kirschner vom Bayerischen Roten Kreuz (BRK) in Nürnberg. Schneller Zugang zu Hilfe, zu Sprachkursen, zu Arbeit – das mache Integration erfolgreich. »Man muss das immer wieder betonen: Wir brauchen die Zugewanderten und ihre Fähigkeiten in unserem Land. Sie monate- oder jahrelang ohne Perspektive im Wartemodus zu halten, kostet uns mittelfristig als Gesellschaft viel mehr als sie von Anfang an gut zu beraten « führt Kirschner weiter aus. Zumindest laut Koalitionsvertrag schien das bis zuletzt auch die Linie der Bundesregierung. Umso mehr habe der jüngste Haushaltsentwurf des Bundesinnenministeriums die Trägerverbände alarmiert.

Auch Elke Dörr vom Jugendmigrationsdienst der Stadtmission Nürnberg betonte gestern, eine solide und langfristig gesicherte Beratungsinfrastruktur sei gerade für eine so international geprägte Stadtbevölkerung wie in Nürnberg zentral. Fast die Hälfte der Nürnberger*innen hat Migrationshintergrund, neue Zuwanderer*innen kommen laufend dazu. »Trotzdem sollen wir unsere Personalkapazitäten je nach Zuwanderungsspitzen oft kurzfristig auf- und abbauen. Das schadet dem Beratungsangebot. Sie finden erfahrene Fachleute ja nicht mal eben, um sie kurzfristig einzustellen.«

Nicht nur finanzielle Integrationshürden

Neben den Finanzierungssorgen beschäftigen die Berater*innen aber noch andere Integrationshürden. Elke Dörr mahnt unter anderem den gestiegenen Aufwand an, den viele ihrer Klienten*innen für die Anerkennung ausländischer Zeugnisse betreiben müssen. »Das geht inzwischen nicht mehr auf einfachen Antrag der Zugewanderten, sondern nur mit schriftlicher Bestätigung eines potentiellen Arbeitgebers, die sie einstellen möchten.« Jürgen Duschinger vom BRK erzählt zudem, dass die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung viele Hilfesuchende überfordere. »Online-Angebote sind nicht intuitiv verständlich oder Nutzer müssen dann doch wieder Formulare ausdrucken. Für Nachfragen ist dagegen kaum mehr einer erreichbar.« Das führe derzeit dazu, dass Menschen, die längst ohne Beratung gut zurechtgekommen seien, wieder Hilfe der Migrationsberatung brauchen, um so einfach Dinge wie eine Adressummeldung überhaupt hinzubekommen.

Bundesweit vielschichtiges Beratungsangebot

Nicht nur in Nürnberg haben die Träger der (Jugend)Migrationsstellen aus der Freien Wohlfahrtspflege öffentlich mobilisiert. Bundesweit richten die Beratungsstellen für zugewanderte Jugendliche und Erwachsene in dieser Woche Stände und Demos in deutschen Städten aus. Am Nürnberger Jakobsplatz waren neben den Fachteams auch Ratsuchende im Einsatz, die Politikern*innen und Bürger*innen für ihre Belange sensibilisierten.

Fast 1.900 Jugend- und Migrationsberatungsdienste (JMD & MBE) gibt es derzeit in Deutschland. Ihre Arbeit kam im Jahr 2021 insgesamt 606 000 Menschen zu Gute. In Nürnberg berieten die Träger zwischen Januar und August 2022 bereits 8.400 Jugendliche und Erwachsene, die fast immer zu einem ganzen Themenbündel Hilfe benötigen: Zugang zu Schule, Ausbildung und Arbeitsmarkt, Anerkennung ausländischer Abschlüsse, soziale Existenzsicherung, Gesundheitsversorgung, Spracherwerb und Aufenthaltsverfahren sind dabei die Wesentlichen.

 

     

    Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg