"Dort sein, wo andere sich abwenden"

Vor zehn Jahren eröffnete die Stadtmission Nürnberg eine psychotherapeutische Fachambulanz für Sexual- und Gewaltstraftäter, in der bis heute etwa 800 Klienten ein- und ausgegangen sind. Seit sieben Jahren konzentriert sich die therapeutische Einrichtung auf Klienten mit einem mittleren bis hohen Rückfallrisiko.

NÜRNBERG.  »Wir glauben nicht an die andernorts praktizierte Weise des Wegsperrens, Stigmatisierens und Vergeltens«, sagte Stadtmissions-Vorstand Matthias Ewelt in seinem Grußwort zum Jubiläums-Festakt am Montag, 7. Oktober, im Justizpalast des Oberlandesgerichtes in Nürnberg. Denn das Motto der Stadtmission, Hilfe im Leben zu leisten, richte sich auch – oder ganz besonders – an Menschen, die ein gebrochenes, ein zerbrochenes und mehr als fragwürdiges Leben gelebt hätten. »Wir wollen da sein, wo andere weder sein können noch wollen. Wo es tendenziell stinkt, unangenehm ist oder weh tut«, so Ewelt weiter.

Ums Vierfache gewachsen: Zehn Jahre Fachambulanz

Die Psychotherapeutische Fachambulanz der Stadtmission Nürnberg ist eine von dreien in Bayern. Sie wurde 2009 als Fachambulanz für Sexualstraftäter eröffnet und sechs Jahre später durch eine Praxis für Gewaltstraftäter ergänzt. Waren es in den Anfängen noch zwei Psychologen*innen, die ehemalige oder potentielle Sexualstraftäter betreuten, hat sich das Personal der Fachambulanz inzwischen vervierfacht. »Die Fachambulanz war dringend gebraucht, um Menschen, die von anderen Beratungsstellen oder niedergelassenen Therapeuten nur ungern oder nicht adäquat betreut werden können, zu unterstützen«, erklärt Claudia Schwarze. Die Psychologin leitet die Nürnberger Fachambulanz seit ihrer Eröffnung. Während Schwarze und ihr damaliger Kollege in den Anfängen »noch jeden nahmen«, veränderten sie 2012 angesichts des enormen Bedarfes ihre Aufnahmekriterien. Fortan konzentrierten sich die Psychologen*innen und Sozialpädagogen*innen der Einrichtung auf jene 15% ehemaliger Täter, bei denen man mindestens von einem mittleren oder hohen Rückfallrisiko ausging. »Mit dieser Selektion haben wir nicht nur unser Klientel beschränkt, sondern auch die Risikobelastung für unser Ambulanzklientel und unsere Mitarbeitenden erhöht.« Für Schwarze war das kein leichter, aber notwendiger Schritt. »Wir versuchen bei denen etwas zu erreichen, von denen wir wissen, dass am ehesten wieder etwas passiert. Es sind die, die anderswo durchs Raster fallen, weil keiner etwas mit ihnen zu tun haben will.« Schwarze ist stolz auf ihr Team, das sich von diesem Risiko nicht abschrecken lässt. Und mit Blick auf die zurückliegenden Jahre ergänzte sie: »Wir haben in der Fachambulanz eben auch lernen müssen, dass wir für die Rückfälle unserer Klienten nicht verantwortlich sind, sondern nur dafür, unsere Arbeit mit ihnen bestmöglich getan zu haben.«

Tätern helfen, neue Opfer verhindern

Dass die ambulante Therapie ehemaliger Straftäter Sinn macht, belegen unterschiedliche Studien: So sinke die Rückfallrate sexuell übergriffig gewordener Menschen durch Therapie um mindestens 26%. Neben diesen Prognosen geht es Schwarze aber um eine grundsätzliche Haltung: »Unsere Klienten sind Menschen, die von einem Großteil der Gesellschaft am liebsten ausgeschlossen werden sollen. Ausgrenzung ist aus meiner Sicht aber keine Option. Wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung, sowohl für die Entwicklung der Menschen bevor sie das erste Mal straffällig und gewalttätig werden, als auch danach«, betont die Psychologin.

Auch Georg Eisenreich, Bayerischer Staatsminister der Justiz, dankte Schwarze und ihrem Team im Rahmen der Jubiläumsfeier am Montag für ihren Einsatz. »Die Fachambulanz hilft ehemaligen Straftätern ein Leben ohne weitere Gewalttaten zu führen. Letztlich erhöht das die Sicherheit aller Bürger.« Er wünsche sich deshalb, dass von der gelingenden Arbeit der Fachambulanz mehr berichtet würde. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat die therapeutischen Fachambulanzen 2008 ins Leben gerufen und finanziert die Arbeit der drei Einrichtungen umfänglich.

Klienten aus bis zu 150km Entfernung

Etwa 170 Klienten haben in den vergangenen Jahren eine Therapie in der Nürnberger Fachambulanz abgeschlossen. Etwa zwei Drittel sind aufgrund von Sexualdelikten in der Einrichtung in Behandlung, beim restlichen Drittel gaben Gewaltstraftaten Anlass zur Therapie. Die wenigsten davon kämen freiwillig. Meist gäben die Führungsaufsicht oder Bewährungsauflagen den bereits straffällig Gewordenen Grund, sich vorzustellen. Dabei reisen Klienten aktuell noch aus bis zu 150km Entfernung an. Denn die Nürnberger Fachambulanz ist für Menschen aus dem gesamten Oberlandesgerichtsbezirk zuständig. Um besser für potentielle Klienten aus der ebenfalls zugehörigen Oberpfalz erreichbar zu sein, wird die Stadtmission Nürnberg 2020 eine Zweigstelle ihrer Psychotherapeutischen Fachambulanz in Regensburg aufbauen. Und noch mehr Veränderungen stehen an: »Wir werden uns räumlich erweitern. Und wir müssen unsere Konzeption weiterentwickeln. Dazu gehört zum Beispiel auch die Frage nach einer aufsuchenden Arbeit oder nach Maßnahmen, die die Quote versäumter Termine reduziert«, erklärt Schwarze.

Straffälligenarbeit hat Tradition

Mit ihrer Psychotherapeutischen Fachambulanz hat die Stadtmission Nürnberg 2009 ihre bereits über Jahrzehnte etablierte, sozialtherapeutische Arbeit mit Straffälligen ausgebaut. Insgesamt wirkt sie in vier Einrichtungen aus dem Bereich daraufhin, die gesellschaftliche Resozialisierung und Entstigmatisierung von straffällig gewordenen Menschen voranzutreiben. Stadtmissions-Vorstand Matthias Ewelt verwies beim Jubiläum der Fachambulanz auch auf die Historie des Sozialverbundes: »Bereits in ihren Anfängen wandte sich die Stadtmission Straftentlassenen zu. Weiblichen im Zufluchtshaus für Mädchen und Frauen ab 1902, Männern dann ab 1909 in der Schreibstube für strafentlassene Kaufleute.«

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg