Ehrenamtliche in der Sozialpsychiatrie: »Psyche ist auch etwas für Männer«

Reinhard Dittrich (69) und Rainer Lerner (71) betreuen ehrenamtlich Menschen mit psychischen Erkrankungen. Für den Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadtmission sind freiwillig Engagierte wie sie essentiell und ein Schatz für viele Klienten, denen es im Alltag oft an Vertrauensmenschen fehlt.

In einer Werkstatt: Ein Frau und zwei ältere Männer lächeln.

v.l. Anke Frers mit Reinhard Dittrich und Rainer Lerner.

NÜRNBERG.    In seinen Berufsjahren war Rainer Lerner Elektroingenieur, Reinhard Dittrich Berufsschullehrer. Gemeinsam stiegen die beiden Freunde 2012 als Ehrenamtliche im Sozialpsychiatrischen Dienst ein – ohne, dass sie vorher jemals Erfahrungen mit psychisch erkrankten Menschen gemacht hatten. »Wenn der Beruf wegfällt, kommt eine gewisse Leere. Irgendetwas wollte ich wieder machen«, erzählt Lerner.

Es brauchte Aufwärm-Zeit, bis Lerner und Dittrich »ihren Platz im Julius Schieder-Haus« gefunden oder eher selbst entwickelt hatten: In einem Einführungsseminar, vielen Gesprächen mit –Haupt- und Ehrenamtlichen sowie einigen Schnupperwochen im Sozialpsychiatrischen Dienst machten sie sich vertraut mit dem Setting und seinen Möglichkeiten: Inzwischen laden die beiden Männer jede Woche Klienten, die handwerklich interessiert sind, in die Werkstatt des Julius-Schieder-Hauses ein. Dort reparieren sie gemeinsam Geräte, schrauben Bausätze zusammen oder entwerfen künstlerische Stücke – je nachdem, welche Anliegen und Ideen die Besucher*innen mitbringen. »Rainer ist der Tüftler von uns beiden, ich bin eher für die Gespräche, die Stimmung rundherum zuständig«, sagt Reinhard Dittrich. Einig sind sich beide, dass »das Vertrauensverhältnis«, das wichtigste Gut sei, das sie Menschen anbieten könnten. Mal seien sie für die Klienten »Lebensberater«, mal »Motivator«, mal »Anleiter« – in jedem Fall aber verlässliche, authentische Begleiter.
 

Die psychischen Erkrankungen sind zweitrangig

Die z.T. schweren Lebens- und Krankheitsgeschichten der Männer und Frauen, die im Julius-Schieder-Haus Unterstützung suchen, sind für Rainer Lerner eindrücklich. »Ein junger Mann war öfter bei mir in der Werkstatt. Er nahm hochdosierte Medikamente, zitterte deshalb immer extrem. Trotzdem baute und lötete er über Wochen eine designverdächtige Stehlampe. Wahnsinn! Davor habe ich Hochachtung!«. Die Akten ihrer Klienten kennen die beiden Ehrenamtlichen nicht. »Wir sind unvoreingenommen, lernen jeden allmählich kennen.« Heftige Zwischenfälle, bei denen sie mit ihren Werkstattbesuchern überfordert seien, gebe es selten. Launisch oder eigentümlich seien alle mal. »Im Zweifel haben wir aber immer einen Fachkollegen im Haus, an den wir uns wenden können.« Auch regelmäßige Supervisions- und Teamgespräche bieten Ehrenamtlichen im SPDI Sicherheit und fachlichen Rückhalt. Reinhard Dittrich meint aber auch: »Schwierigkeiten sind nicht die Regel. Die Dankbarkeit, das Vertrauen, das mir entgegengebracht wird, wiegt hundert Mal schwerer.« Und nach sieben Jahren Ehrenamt im SPDI sagt der 69-Jährige: »Hier sind wichtige Beziehungen für mich entstanden – auch zu Klienten.«


Ehrenamtliche haben hohen Stellenwert

»Den Klienten fällt es angesichts ihrer Lebenserfahrungen nicht leicht zu vertrauen. Umso mehr ist es ihnen wert, wenn sie unsere Ehrenamtlichen als Vertrauensmenschen erleben«, erklärt Anke Frers, die den Sozialpsychiatrischen Dienst leitet. Manche Klienten sprächen sich sogar lieber mal bei einem freiwillig Engagierten anstatt bei den Sozialpädagogen aus, weil diese ihnen ohne fachliche Brille begegneten, erzählt sie.

Etwa 30 Ehrenamtliche sind derzeit im Sozialpsychiatrischen Dienst eingebunden. Mehr bräuchte es eigentlich immer. Sie gestalten Angebote wie den Chor, das Kaffee-Gespräch, Handwerks- und Sportgruppen. Oder sie betreuen einzelne Männer und Frauen in einer Art Patenschaft. »Unsere Ehrenamtlichen können, wenn sie sich mit der Arbeit in unserem Haus vertraut gemacht haben, selbst ausprobieren und anbieten, was ihnen selbst Freude macht«, sagt Sozialpädagogin Anke Frers. Besondere Voraussetzungen gebe es dabei nicht. »Verlässlich« sollten die Ehrenamtlichen sein und bereit, sich kontinuierlich einzubringen. Andernfalls würden weder Klienten Vertrauen entwickeln können, noch könnten Beziehungen entstehen, die einen Einsatz im Sozialpsychiatrischen Dienst so wertvoll machten. Auch Rainer Lerner und Reinhard Dittrich profitieren von ihrem Engagement: »Ich habe so viel Gelassenheit gelernt. Und ich verlasse das Haus hier jedes Mal mit einem Lächeln.«
 

Freiwillige gesucht

Möchten Sie sich auch im Sozialpsychiatrischen Dienst eherenamtlich engagieren? Dann melden Sie sich:
Sozialpsychiatrischer Dienst im Julius-Schieder-Haus
Pirckheimerstr. 16, 90408 Nürnberg
Anke Frers, Einrichtungsleiterin
T. (0911) 93 59 55-5

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg