Zu ihrem Fachtag lud die Therapieeinrichtung der Stadtmission am 6. November in die Nürnberger Meistersingerhalle. Etwa 180 forensische und therapeutische Fachleute aus ganz Deutschland und darüber hinaus trafen sich hier zu Diskussion und Austausch. Vorträge rund um Psychotherapie und deren Methoden vermittelten fundiertes Fachwissen und ermöglichten unterschiedliche Blickwinkel auf die Bereiche Gewalt- und Sexualdelikte.
Was bleibt ist Veränderung: 10 Jahre Psychotherapeutische Fachambulanz Nürnberg
Gastgeberin Claudia Schwarze, seit der Eröffnung 2009 Leiterin der Psychotherapeutischen Fachambulanz, startete mit ihrem Team die Vortragsreihe. »Was bleibt ist Veränderung: 10 Jahre Fachambulanz« titelte ihr Impuls, mit dem sie ihr Publikum durch Geschichte und Entwicklung ihrer Einrichtung führte. Von Anfang an gehörte diese zu den Vorreitern ihrer Art in Deutschland. Eine Änderung im »Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht« machte damals Haftentlassenen Therapie zugänglich. Zwei Psychologen*innen und eine Verwaltungsmitarbeiterin arbeiteten anfänglich mit rund 30 Menschen, die Sexualdelikte begangen hatten. »Zuallermeist Männer! Frauen waren und sind bei uns die absolute Ausnahme«, betonte Schwarze. Das änderte sich auch nicht, als 2015 Gewaltstraftäter therapiert wurden. »Das Rückfallrisiko bei Gewaltdelikten ist tendenziell höher, neue Aufgabenschwerpunkte haben sich ergeben«, erklärte Schwarze. In Folge ergänzte die Nürnberger Fachambulanz sozialpädagogische Arbeit als festen Bestandteil ihres Therapie-Konzeptes.
»Therapie? Ich habe meine Strafe doch verbüßt!«
Jeder Klient erhalte zu Beginn ein »Screening«: Therapeuten*innen erarbeiten hier ein individuelles Klienten-Profil, erörtern die persönliche Situation, betrachten Therapiefähigkeit, Therapiewege und Rückfallrisiken. Das Screening umfasse ein dreistündiges Aufnahmegespräch und intensives Aktenstudium. Die Therapie werde auf jeden Klienten individuell zugeschnitten, beziehe persönliche Ressourcen, das soziale Umfeld, also u.a. familiäre Beziehungen ein, und formuliere realistische Ziele. Auch Hürden, die einer erfolgreichen Therapie entgegenstehen können, würden bearbeitet, beispielsweise erfolglose Arbeitssuche, Probleme im Job, Sucht oder ein mögliche Rückfälle. Bei all dem stehen die Mitarbeitenden in Abstimmung mit Gerichten, Bewährungshilfe und deren Auflagen. Claudia Schwarze nannte diesen Umstand ein »doppeltes Mandat, das unsere Arbeit erschweren kann, denn echtes Vertrauen zwischen Therapeut und Klient ist eine der wichtigsten Grundlagen unserer Arbeit«. Üblicherweise kämen die Klienten mit richterliche Weisung in die Fachambulanz. »Misstrauen auf Seiten der Klienten kennen wir nur zu gut, zumindest am Beginn der gemeinsamen Arbeit«, weiß Schwarze. Originalzitate der Nürnberger Klienten, die immer wieder im Vortrag eingespielt wurden, bestätigten das eindrucksvoll: »Ich hatte doch schon alles gebüßt und fand nicht in Ordnung, hierher geschickt zu werden«, kommentierte einer. »Mir war es unangenehm, über meine Taten zu sprechen«, so ein anderer. Doch diese skeptische Haltung bessere sich meist im Therapieverlauf. Klienten erhalten in der Fachambulanz durchschnittlich zwei Jahre Therapie, in manchen Fällen könne diese bis zu fünf Jahre dauern.
Nicht mehr wegzudenken: Psychotherapeutische Fachambulanzen jenseits von Gefängnismauern
Die Nürnberger Psychotherapeutische Fachambulanz entwickelte sich mit ihren Aufgaben und steigender Klientenzahl immer weiter – und blickt heute auf eine Erfolgsgeschichte: 17 Mitarbeiter*innen - verteilt auf 11 Vollzeitstellen - betreuen heute 130 Klienten. 10 Neuaufnahmen zählt die Fachambulanz monatlich. Die Nürnberger Fachambulanz ist heute in der regionalen wie auch überregionalen Hilfelandschaft für ehemalige Sexual- und Gewaltstraftäter nicht mehr wegzudenken. Sie unterhält ein umfangreiches Netzwerk zu verschiedenen Partnern*innen treibt den Ausbau und die Weiterentwicklung der fachlichen Angebote mit einschlägiger Klientel bundesweit voran. Und nicht zuletzt: Die Modelleinrichtung war und ist Vorbild auch für die Flächenversorgung: Rund 40 Psychotherapeutische Facheinrichtungen gibt es heute bundesweit. Sie alle senken Rückfallrisiken bei Gewalt- und Sexualstraftätern und begleiten diese auf dem Weg in ein straffreies Leben. Dass jedem Menschen Hilfe zusteht, der Hilfe bedarf, formulierte Stadtmissionsvorstand und Pfarrer Matthias Ewelt schon in seiner Fachtags-Begrüßung: »Gott begegnet uns gerade in den Hilfsbedürftigen, gerade in Menschen, vor denen uns unsere Instinkte warnen mögen. In jedem Einzelfall sind Werke der Barmherzigkeit gefordert«.
Referenten*innen und ihre Themen:
- Aktuelle Erkenntnisse zur kriminalprognostischen Beurteilung von Sexual- und Gewaltstraftätern lieferte PD Dr. Martin Rettenberger, Direktor der Kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden.
- Dr. Johann Endres, Leiter des Kriminologischen Dienstes des bayerischen Justizvollzugs, informierte zum Thema »Verantwortungsübernahme – »nice to have« oder Voraussetzung für Veränderung?«
- Dr. med. Melanie Büttner, Autorin und Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Sexual- und Traumatherapeutin referierte zum Erleben von (sexueller) Intimität nach Grenzverletzung.
- Die Wirkung von Pornokonsum auf die Sexualität betrachtet Psychologe und klinischer Sexologe Wolfgang Kostenwein, psychologischer Leiter des Österreichischen Instituts für Sexualpädagogik und Sexualtherapie.
- Psychologin Dr. Veronika Engert, ist Research Group Leader, Social Stress and Family Health Research Group Max Plank for Human Cognitive and Brain Sciences am Max-Planck-Institut in Leipzig. Engert gibt Einblick in das »gesündere, sozialere Mensch werden mit Hilfe von mentalem Training