Welt-AIDS-Tag: »Das größte Risiko liegt in den unentdeckten HIV-Infektionen«

10.000 bis 13.000 Menschen in Deutschland wissen nicht, dass sie HIV-positiv sind. Von ihnen geht das größte Risiko aus, das Virus weiterzugeben. AIDS-Beratung Mittelfranken und AIDS-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth arbeiten gegen diese Dunkelziffer an. Im Coronajahr 2020 unter erschwerten Bedingungen.

NÜRNBERG.   »Eine HIV-Infektion muss kein medizinisches Drama mehr sein, sofern sie früh erkannt und behandelt wird«, sagt Manfred Schmidt, Fachvorstand der AIDS-Hilfe Nürnberg-Fürth-Erlangen. Denn HIV-Positive, die entsprechend medikamentös behandelt werden, hätten nicht nur eine weitgehend normale Lebenserwartung. Sie könnten das HI-Virus auch praktisch nicht mehr übertragen. Allerdings wüssten noch viel zu wenig Menschen – in Deutschland nur etwa 10 % der Bevölkerung – von dieser Tatsache. »Die Stigmatisierung und Diskriminierung HIV-positiver Menschen hält an«, sagt Schmidt. Mit ihrer aktuellen Kampagne »Wissen verdoppeln« will die AIDS-Hilfe bekannter machen, dass eine Übertragung des Virus‘ weitgehend unmöglich ist, wenn HIV-Positive konsequent medizinisch therapiert werden. Wer weniger Angst vor Stigmatisierung habe, sei auch eher bereit, sich testen zu lassen und Unterstützung bei Fachstellen und/ oder Ärzten*innen zu holen, ergänzt Schmidt.

Coronajahr 2020: Zugang zu Fachstellen erschwert – Nachfrage gestiegen

Der Zugang zu medizinischen und psychosozialen Hilfestellen ist im Jahr der Corona-Pandemie 2020 für potentielle HIV-Risikogruppen schwerer geworden. Denn Corona habe das öffentliche Gesundheitssystem vollends in Beschlag genommen: Gesundheitsämter können seit Monaten kaum mehr HIV-Testungen durchführen, Menschen meiden Arztpraxen, sofern sie nicht akut Behandlung bräuchten. Gleichzeitig mussten offene Sprechstunden und zahlreiche Präventionsveranstaltungen von AIDS-Beratung Mittelfranken und AIDS-Hilfe erheblich beschränkt werden.

Die AIDS-Beratung Mittelfranken hat stattdessen ihre digitalen Angebote ausgebaut, erzählt Leiterin Sarah Armbrecht. Ihr Team ist seit diesem Jahr bei Youtube, facebook und Instagram aktiv und bietet Workshops als Onlineformate an. Aber auch analoge Aktionen habe man an die Pandemie-Bedingungen angepasst, so zum Beispiel die sogenannten »Positiv-Spaziergänge« unter freiem Himmel. Trotzdem, sagt die Psychologin, könne man die Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht gänzlich puffern. »Alle Aufmerksamkeit ist auf COVID-19 gerichtet. Ich befürchte einen Anstieg von HIV-Neuinfektionen im Schatten von Corona«. Und sie beobachtet eine weitere bedenkliche Tendenz: Die Corona-Krise habe bei einigen Menschen übersteigerte Infektionsängste befeuert. So würden wieder deutlich mehr Menschen anrufen, die vollkommen unbegründet glauben, sich mit HIV infiziert zu haben. Armbrecht nennt dieses Phänomen »AIDS-Hypochondrie«.

AIDS-Beratung Mittelfranken führt jetzt auch HIV-Schnelltests durch

Ab 1. Dezember 2020, dem Welt-AIDS-Tag, beginnt auch die AIDS-Beratung der Stadtmission damit, HIV-Antigen-Tests durchzuführen. Ergebnis dieser Schnelltests sind dabei lediglich Verdachtsdiagnosen. Der wesentliche Vorteil dieses Angebots liege darin »dass Menschen, die sich bei uns testen lassen, immer auch eine psychosoziale Beratung erhalten und mit dem Ergebnis und seinen Folgen nicht alleine dastehen«, erklärt Armbrecht.  Auch die AIDS-Hilfe Nürnberg-Erlangen-Fürth bietet bereits seit zehn Jahren HIV-Schnelltestungen an. Seit Frühjahr 2020 dürfen diese auch ohne ärztliche Aufsicht durchgeführt werden, sodass die AIDS-Hilfe ihr HIV- Testangebot ausbauen konnte. »Extrem hilfreich« war dies, sagt Manfred Schmidt, angesichts einer deutlich gestiegenen Nachfrage in seinem Haus in diesem Jahr. Das bestätigt auch Sarah Armbrecht: »Einer der Hauptanfragegründe bei uns im letzten Jahr war die Suche nach einer HIV-Testmöglichkeit.« »Die Leute erleben uns als Experten, wo man neben dem Test offen reden kann über Sexualität. Das ist anders als in Arztpraxen oder beim Amt«, kommentiert Schmidt.

HIV-Infektionen unter heterosexuellen Menschen leicht gestiegen

Interessant dabei: Die Zielgruppen der AIDS-Hilfe hätten sich 2020 verschoben: Fokussiere die Fachstelle ihre Präventionsarbeit üblicherweise auf »Männer, die Sex mit Männern haben«, seien in diesem Jahr deutlich mehr heterosexuelle Menschen zur AIDS-Hilfe gekommen.

Manfred Schmidt vermutet, dass der Aufklärungsbedarf unter heterosexuellen Menschen möglicherweise höher sei als in der Risikogruppe schwuler Männer. Diese These untermauern auch aktuelle Infektionszahlen, die einen Rückgang von HIV-Neuinfektionen unter Männern, die mit Männern Sex haben, ausweisen. Ein leichter Anstieg sei dagegen unter heterosexuell orientierten Menschen zu verzeichnen. Insgesamt gebe es, Stand 2018, 1.358 diagnostizierte HIV-positive Menschen in Mittelfranken, 56 davon hätten sich im selben Jahr neu angesteckt. Noch aktuellere Zahlen von 2019 veröffentlicht das Robert-Koch-Institut am Donnerstag, den 26. November 2020.

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg