Zum Welt-AIDS-Tag 2022: »Infektionen werden oft spät erkannt«

Am 1. Dezember findet der jährliche Welt-AIDS-Tag statt. Wieder mit dabei ist auch die AIDS-Beratung Mittelfranken der Stadtmission Nürnberg, die mit ihrer Arbeit für Aufklärung und Prävention sorgt. Eine rechtzeitige Diagnose und ein frühzeitiger Behandlungsbeginn sichern Menschen mit HIV heute ein ganz normales Leben. Immer noch vorhandene Tabus und Vorurteile verunsichern jedoch Menschen mit Risikokontakten und lassen sie zögern, zum Testen zu gehen. So kommt es, dass ein wesentlicher Anteil der HIV-Infektionen viel zu spät erkannt und behandelt wird.

HIV-Infektion heißt nicht gleich AIDS-Erkrankung. Das frühzeitige Erkennen einer Infektion ist entscheidend für eine gute Behandlung und ein normales Leben

Wie jedes Jahr begeht auch die AIDS-Beratung der Stadtmission Nürnberg gemeinsam mit der AIDS-Hilfe am 1. Dezember den Welt-AIDS-Tag. Auf der Agenda steht seitens der Stadtmission ein Gottesdienst unter dem Motto »Schatz: komm – entdecke – finde!« der das Leben mit und ohne HIV feiert. Im Anschluss soll im »Denkraum« der AIDS-Hilfe auf dem Jakobsplatz den an AIDS Verstorbenen gedacht werden. Seit mehr als 30 Jahren findet der Welt-Aids-Tag statt. Er bekräftigt die Rechte der HIV-positiven Menschen weltweit und ruft zu einem Miteinander ohne Vorurteile und Ausgrenzung auf.

Viele Infektionen spät erkannt

Die Arbeit der AIDS-Beratung Mittelfranken konnte 2022 weitgehend wieder so stattfinden, wie vor der Corona-Pandemie. Im vorigen Jahr stand die Beratungsstelle mehr als 1.000 Mal Menschen beratend zur Seite. Etwa die Hälfte der Beratungskontakte richtete sich dabei an Menschen mit HIV. Knapp 5.000 weitere Menschen erreichte die AIDS-Beratung bei Präventionsveranstaltungen.

In ganz Deutschland leben laut RKI knapp 91.000 Menschen mit einer HIV-Infektion. 1.800 Neuinfizierte kamen 2021 dazu. Etwa ein Drittel der Diagnosen wurde erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Infektion und bei bereits entstandenen Immundefekten gestellt, jede fünfte Diagnose erfolgte sogar erst im Vollbild AIDS, also etwa acht bis zehn Jahre nach der Infektion und bei bereits weitgehend zerstörtem Immunsystem. Während Neuansteckungen bei Männern, die Sex mit Männern haben, weiterhin sinken, stagniert die HIV-Übertragung bei heterosexuellen Kontakten.

Um die Verbreitung des Virus zu verhindern braucht es leicht zugängliche und kostengünstige Testangebote, wie die der AIDS-Beratung Mittelfranken. Die Einrichtung der Stadtmission Nürnberg berät, klärt auf und leistet psychosoziale Unterstützung von HIV-infizierten Menschen und ihren Angehörigen. Einrichtungsleiterin Sarah Armbrecht stellt fest: »In der LGBTQ+-Szene wird offener mit dem Thema umgegangen als in der Allgemeinbevölkerung, wo sich Unwissenheit und Vorurteile hartnäckiger halten – das führt zu Scham und Schuldgefühlen, die viele infizierte Menschen haben.« Und: Wenn das Tabu nicht so groß wäre, würden Personen mit Risikokontakten nicht zögern und sich schneller trauen, zum Testen zu gehen, sagt die 48-Jährige. Bei der AIDS-Beratung werde sehr viel getestet und das sei gut so. Beispielsweise im Beratungszentrum oder regelmäßig einmal im Monat in der Innenstadtkirche St. Jakob. Hier könne jede*r einfach vorbeikommen, garantiert ohne schief angeschaut zu werden. »Wir testen ohne Vorbehalte, dafür mit einer Tasse Kaffee und ausreichend Zeit für Fragen aller Art. Mit einem positiven Ergebnis lassen wir niemand allein und stehen unterstützend zur Verfügung.«

Vorurteile und Unwissenheit halten sich hartnäckig

»Wer frühzeitig von seiner Infektion weiß und sich behandeln lässt, kann ein ganz normales Leben führen und ist auch nicht ansteckend«, erklärt Sarah Armbrecht. Früher, in den 80ern, sei AIDS oft ein Todesurteil gewesen. Heute ist HIV glücklicherweise gut behandelbar, wenn auch nach wie vor nicht heilbar. Medikamente sorgen aber dafür, dass die Vermehrung des Virus im Körper gestoppt wird. Die meisten HIV-positiven Menschen haben keine oder kaum Nebenwirkungen. »Unwissenheit ist immer noch weit verbreitet«, bedauert Armbrecht. Das fange schon an bei der Unterscheidung von HIV, dem Virus, und AIDS, der daraus resultierenden Immunschwächekrankheit. Auch, dass von infizierten Personen, die in medikamentöser Behandlung sind, keine Ansteckungsgefahr ausgehe, sei nicht bekannt. »Unter erfolgreicher Behandlung ist HIV eine chronische Infektion, mit der es sich genauso leben und arbeiten lässt wie ohne HIV«, so Armbrecht. »Weder in der Lebenserwartung noch in der Lebensqualität gibt es deutliche Einschränkungen und auch beim ungeschützten Geschlechtsverkehr wird das Virus nicht weitergeben.« Dennoch erleben viele Menschen mit HIV Ablehnung und Benachteiligung.

Die Studie »positive stimmen 2.0«1 ergab etwa, dass über die Hälfte der knapp 1.000 Befragten mit HIV Diskriminierung im Gesundheitswesen erfahren haben. Beispielsweise, wenn eine zahnmedizinische Versorgung verweigert oder beim Krankenhausaufenthalt eine eigene Toilette zugewiesen wurde. Auch Schweigepflichtverletzungen sind demnach nicht selten, z.B. wenn Akten von HIV-positiven Patienten*innen gekennzeichnet werden – sichtbar für Dritte. Laut der Studie legte ein Viertel der Befragten ihren HIV-Status nicht mehr immer offen.

Prophylaxe verhindert Übertragung

Es gibt aber durchaus auch positive Entwicklungen: Zum Beispiel ist die erst 2016 in der EU zugelassene PrEP (Präexpositionsprophylaxe) seit 2019 in Deutschland eine Kassenleistung für Patienten*innen mit Infektions-Risiken geworden. »Es handelt sich um ein Medikament, das in der AIDS-Therapie eingesetzt wurde, aber vorbeugend eingenommen eine HIV-Infektion verhindern kann«, so Armbrecht.
 

1Deutsche Aidshilfe und Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft 2021. Befragt wurden fast 1.000 Menschen mit HIV.

Hilfe im Leben – Stadtmission Nürnberg