»Mieten, Lebensmittel, Strom- und Heizkosten – alles hängt zusammen, alles wird permanent teurer. Keine Sozialbehörde kann darauf schnell genug reagieren. Unsere Klientel hat große Angst, ihr Lebensnotwendiges nicht mehr bezahlen zu können«, sagt Christine Mürau von der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit (KASA) der Stadtmission. Die Menschen, die zu ihr kommen, leben in ganz unterschiedlichen Lebenskonstellationen. Zu den Hilfesuchenden zählen Erwerbsunfähige, ebenso wie Familien mit geringen Löhnen oder Rentner*innen. Und alle treibt die gleiche Sorge: Wohnung und Lebensmittel sind nicht mehr verlässlich gesichert. Etwa, weil es bis zu neun Monate dauert, bis ihnen Wohngeld überhaupt bewilligt wird. Weil ihre tatsächlichen Stromkosten nicht in voller Höhe in der Grundsicherung berücksichtigt werden, geschweige denn die sich aufsummierenden Stromschulden. Oder weil Nothilfeeinrichtungen wie die Nürnberger Tafel so überlastet sind, dass dort inzwischen zum Teil Aufnahmestopps gelten.
»Einmalzahlungen des Jobcenters oder der Energiepreisdeckel ab Februar schaffen diese, in einigen Bevölkerungsschichten verfestigte Existenznot nicht ab«, konstatiert die Sozialberaterin Mürau, die auch in der Einführung des Bürgergeldes ab 2023 keine Wende erkennen kann. »Mit sozialstaatlichen Leistungen allein ist vielen unserer Ratsuchenden nicht mehr ausreichend geholfen. Wir müssen vermehrt auf private Spenden zurückgreifen.«
Energieschulden oft Anfang eines Teufelskreises
So auch im Fall einer alleinerziehenden Mutter von drei Jugendlichen. Mit ihrer Erwerbsunfähigkeitsrente konnte sie ihre Familie lange selbstständig, wenn auch knapp, über die Runden bringen. Seit einem Jahr steuert die älteste Tochter, 19 Jahre alt, zusätzlich zum Familieneinkommen bei. »Sie arbeitet als Hilfskraft in der Pflege«, berichtet die 43-Jährige. Dennoch hat sich die prekäre Lage der Familie verschärft: Denn der mittlere Sohn ist wegen einer psychischen Erkrankung seit zwei Jahren auf teure Medikamente angewiesen. Die KASA erwirkte für die Mutter zuletzt eine Zuzahlungsbefreiung für die Medikamente ihres Sohnes. Die Schulden, die sich zwischenzeitlich jedoch für die Betriebskosten ihrer Wohnung bei der Wohnbaugesellschaft angestaut hatten, konnten nur durch private Spenden beglichen werden. Die KASA vermittelte.
Anders eine Nürnberger Familie mit drei Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter. Der Vater ist herzkrank und nicht arbeitsfähig, die Mutter arbeitet zu einem niedrigen Lohn im Einzelhandel. Die Familie muss ihr Einkommen durch Grundsicherungsleistungen aufstocken. Auch hier führten die Energiekosten der Familie zu Schulden. Angesichts der hohen Raten für Nachzahlungen fehlte letztlich das Geld für Lebensmittel und passende Kinderkleidung. Akuthilfe konnte die KASA wieder durch Spendengelder leisten und erreichte zudem, dass der Familie vom Jobcenter ein Mehrbedarf für Warmwasser und reduzierte Energieraten anerkannt wurden.
Existenzminimum oftmals nicht abgesichert
»Solange wir keine wirkmächtigen Sozialreformen gegen die Armut erleben, werden wir mit unserer Arbeit weiter Löcher stopfen.« Weder staatliche Einmalzahlungen, noch die aktuelle Grundsicherung oder das künftige Bürgergeld würden die verfestigte Not abschaffen, deckten sie das tatsächliche Existenzminimum doch in vielen Fällen gar nicht ab, so KASA-Leiterin Christine Mürau. Seit langem fordert die Diakonie einen Regelsatz von monatlich mindestens 600 Euro für Bedürftige ebenso wie einen Lastenausgleich, der starke, vermögende Schultern stärker in die soziale Pflicht nimmt.
Stadtmissions-Vorstand Markus Köhler sagt dazu: »Wir erleben aber auch, dass viele Nürnberger*innen bereit sind, finanziell Verantwortung zu übernehmen, damit die soziale Schere nicht immer weiter auseinanderklafft.« Bayern zählt, laut Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes, deutschlandweit zu den fünf Bundesländern, in denen die Armutsquote von 2020 auf 2021 am stärksten angestiegen ist. Dabei schlagen sich Inflationsraten um die 10% noch gar nicht in dieser Auswertung nieder.
In der KASA-Beratungsstelle herrsche in diesem unsicheren Herbst noch eine Art »Ruhe vor dem Sturm«, sagt Christine Mürau. Die große Welle der Hilfesuchenden falle erwartungsgemäß mit der Zustellung der Betriebskostenabrechnungen und Nachzahlungsbescheide für den Energieverbrauch ab Januar zusammen. »Die Preiskrisen haben alle Reserven in den unteren Einkommensschichten getilgt. Davon sind Tausende in dieser Stadt betroffen.« Müraus Einschätzung deckt sich mit anderen Prognosen: Allein bei den Wohngeldbezieher*innen, also Menschen mit kleinen Einkommen, die bis zuletzt noch ohne staatliche Hilfeleistungen zurechtkamen, erwartet die Stadt Nürnberg eine Vervierfachung der Anträge in den Jahren 2022 und 2023.
»Handeln statt Hoffen! Erste Hilfe gegen Armut startet«
Anlässlich der jährlichen Kampagne »Erste Hilfe gegen Armut« ruft Stadtmissions-Vorstand Markus Köhler deshalb zu Spenden auf, die zielgerichtet bei den bedürftigen Haushalten in Nürnberg ankommen. »Wir animieren abgesicherte Menschen beispielsweise ihre vom Staat übernommenen Abschlagszahlungen direkt an »Erste Hilfe gegen Armut« zu spenden. Sie tragen damit zu einem faireren Lastenausgleich bei und helfen vielen ärmeren Mitbürgern über den Winter zu kommen.« Mit 25 EUR könnte zum Beispiel ein Essenspaket finanziert, mit 150 EUR eine Stromsperre aufgehoben werden. So sei die Stadtmission für jeden gespendeten Beitrag dankbar, den sie weitergeben könne. Das Geld komme neben den KASA-Klienten*innen auch Hilfesuchenden in der Ökumenische Wärmestube, bei der Bahnhofsmission und der Wohnungslosenberatung zu Gute.
Mehr Informationen zum Spendenprojekt finden Sie hier.